Elektronische Unterstützungs- und Hilfssysteme haben die Navigation in der Binnenschifffahrt in den letzten Jahrzehnten deutlich vereinfacht. Zumindest die Übersicht. Im Nahbereich, wo sich der Schiffer auch in schwierigen Situationen verlassen muss, bieten Wärmebildkameras Unterstützung. Ein Praxisbericht.
Wenn sich im 33 Meter breiten Fahrwasser des Gerlachshausener Kanals zwei Koppelverbände bei Dunkelheit begegnen, helfen Radar, GPS, elektronische Wasserstraßenkarte und AIS nicht mehr weiter. Dann gilt es für beide Schiffsführer, die Szenerie mit den uferseitigen Scheinwerfer bestmöglich auszuleuchten, ohne den Entgegenkommenden zu blenden.
Um sich in dieser Situation nicht allein auf eine unbefriedigende Sicht, die ruhige Hand, das Einschätzungsvermögen und starke Nerven verlassen zu müssen, hat Rolf Bach auf seinem Koppelverband EL NIÑO / LA NIÑA eine Wärmebildkamera installiert. „Ein Bonus an Sicherheit, den ich nicht mehr missen möchte“, unterstreicht der 53-Jährige. „Den seitlichen Abstand in totaler Nacht prüfen zu können, ist eine tolle Sache.“
Pluspunkte bei Tag und Nacht
Bach, der mit seinem 185-Meter-Verband regelmäßig zwischen Rhein und Donau unterwegs ist, setzt bei Schleusenfahrten ohnehin auf die Unterstützung durch Kameras. Das belegt eine große Display-Phalanx auf dem Fahrstand. Ein zusätzlicher TFT-Bildschirm steht direkt daneben. Sein monochromes Bild zeigt die Sicht vom Steuerhausdach nach vorn. „Solange die Perspektive nahezu mit der Sicht des Schiffsführers identisch ist, muss man auch nicht großartig umdenken“, erläutert Bach die Standort-Wahl für die vollständig dreh- und schwenkbare Kamera.
Ohnehin macht es die Kamera dem Benutzer so einfach wie möglich: Statt ungewohnter Farbkontraste zu zeigen, rechnet das System das Infrarot-Bild in Graustufen um. Je nach situationsbedingter Präferenz in schwarz- oder weißer Ausführung. In beiden Fällen steht bei Tag und Nacht eine nahezu identische Sicht zur Verfügung. Lediglich wo Sonneneinstrahlung auf unterschiedlich eingefärbten Flächen Temperaturunterschiede verursacht, treten Differenzen auf: Die Kilometersteine auf dem Wärmebild sind tagsüber und noch über die Abenddämmerung hinaus lesbar, nach Auskühlung des Steins nicht mehr.
Starke Wärmequellen rechnet das System herunter, um Blendungen zu vermeiden: Wo das bloße Auge bei tief stehender Sonne und reflektierendem Wasser schon überfordert ist, zeigt die Wärmebildkamera das gleiche Bild wie immer. Das gilt laut Bach auch für zwei 2.000-Watt-Strahler im Begegnungsverkehr. „Mit einem einfachen Restlichtverstärker käme man um den Blendeffekt nicht herum“, weiß Bach.
Nur Feuchtigkeit lässt das Bild verschwimmen
Auch bei Nebel ist der thermale Sensor dem Restlichtverstärker sowie dem Auge zum Teil überlegen. „Leichten Nebel durchschaut die Kamera ebenfalls besser. Dann ist die Sichtweite auf dem Bildschirm doppelt so hoch wie draußen“, berichtet Bach. „Bei dichtem Nebel mit sehr hoher Luftfeuchtigkeit und starkem Regenfall stößt das System dagegen an seine Grenzen.“ Dann überlagert die thermale Signatur der Wassertröpfchen das Bild, der Grauschleier unterscheidet sich nicht von dem Blick aus dem Fenster.
Sofern die Kamera gedreht und gewendet wird, zeigt ein Richtungsindikator den Blickwinkel an. Mit einer Home-Taste auf dem Steuerpanel schwenkt die Kamera zurück in eine zentrale Frontansicht. Den digitalen Zoom verwendet Bach selten, die beiden Bildausgänge dafür um so intensiver: Einer davon ist direkt mit dem hochauflösenden Monitor auf dem Fahrstand verbunden, der andere mit einem Festplatten-Rekorder aus dem Überwachungsbereich. 41 Tage lang speichert dieser vier verschiedene Kamerabilder automatisch ab, darunter auch die Wärmebildkamera. Im Havariefall bietet sich so die Möglichkeit, einen Videobeweis vorzulegen. Auch für einfache Fahraufnahmen lassen sich die Speicher auslesen.
Trotz der Einschränkungen bei hoher Luftfeuchtigkeit ist Bach von dem Wärmebild-System vollauf begeistert. „Besonders auf engem Fahrwasser spielt das System seine Vorteile aus. Je größer ein Schiff und je schmaler die Wasserstraße, desto eher lohnt sich die Investition. Der Umsatz eines Koppelverbands rechtfertigt das“, erklärt der MSG-Partikulier, der knapp 15.300 Euro für die kombinierte Infrarot- und Tageslichtkamera aus der M-Serie von FLIR ausgegeben hat. „Auf dem Rhein bedarf es dieser Unterstützung nicht unbedingt. Und wenn ich ein kleines Schiff fahre, habe ich auch im Kanal genügend Freiraum, um ohne Wärmebild auszukommen.“
MSG-Kollege Jochen Brockmann, der auf der 110 m langen WERTHEIM das wahrscheinlich erste Wärmebild-System auf einem Binnenschiff installierte, geht noch einen Schritt weiter: „Die Kamera bringt bei jeder Schiffsgröße einfach mehr Lebensqualität. In vielen Stresssituationen gibt sie zusätzliche Sicherheit.“ Das bestätigen Cornelia und Gottlieb Trauthoff, die beide Schiffer mit dem Kamerasystem beliefert haben, aus ihrer Erfahrung mit der Seeschifffahrt: Dort habe die Wärmebildkamera ähnlich wie AIS deutlich schneller Verbreitung gefunden.
Bisher nicht geregelt
In der Binnenschiffsuntersuchungsordnung (BinSchUO) werden Wärmebildkameras bislang nicht behandelt. Den Matrosen mit Funkgerät auf dem Bug ersetzt die Kamera also nicht. Und noch haben die befragten Behördenvertreter völlig unterschiedliche Meinungen: Während einige in Wärmebildkameras eher eine Modeerscheinung sehen, sind andere überzeugt, dass die verbesserte Nachtsicht zukünftig zur Entzerrung auf stark befahrenen, engen Wasserstraßen bei gleichzeitig höherer Sicherheit führen kann: Wenn technische Hilfsmittel auch nachts vernünftige Sichtbedingungen schaffen, könnte der nächtliche Verkehr zunehmen, so dass sich an überlasteten Schleusen die Wartezeit reduziert.
Denkbar wäre auch die Nachrüstung eines Wärmebild-Kamerasystems mit einer Software zur automatischen Erkennung von Personen im Wasser. Ein ähnliches System für den Straßenverkehr kommt bereits in den Oberklassefahrzeugen von BMW zum Einsatz. Auch einige Ozeanriesen setzen bereits auf Wärmebildkameras, um über Bord gegangene Passagiere ausfindig zu machen.
Förderfähig ist die Wärmebildkamera an Bord von Binnenschiffen als der Sicherheit dienendes System indes nicht: Die Anschaffungskosten liegen mit einem Einstiegspreis von unter 4.000 Euro für eine fest installierte Kamera weit unter der in einem aktuellen Förderprogramm gesetzten Schwelle von 100.000 Euro.
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