Tankschifffahrt – Eine feudale Branche

Tankschifffahrt - Eine feudale Branche

Die Tankschifffahrt, das römische Klientelwesen und das mittelalterliche Lehnswesen mögen auf den ersten Blick und auch in der engeren Definition nicht viel gemein haben. Aber die Parallelen sind ernüchternd. Ein Blick in die Geschichte liefert interessante Informationen. Und wer will, kann daraus sogar lernen – theoretisch.

Ja, der Vergleich hinkt: Lehnsherren, die Gut oder Grund an Vasallen beleihen, gibt es in der Tankschifffahrt so heute nicht mehr. Wer sich aber in einem Lexikon oder bei Wikipedia über das System des mittel- und hochmittelalterlichen Lehnswesens informiert, erkennt schnell ernüchternde Parallelen zwischen gestern und heute.

Die „Geschäftsbeziehung“ zwischen Lehnsherr und Vasall galt in der Regel lebenslang. Ähnlich ist es noch heute in der Tankschifffahrt. Will ein Tankschiffseigner die Beziehung zu seinem Befrachter beenden, hat er ein Problem. Zwar kann ihm kein Lehnsherr sein Schiff wegnehmen, ohne Befrachter hat er dennoch kaum eine Chance, weiterzuarbeiten. Denn ein wichtiges Bindeglied zwischen Befrachter und Eigner ist die EBIS-Registrierung.

Das „European Barge Inspection Scheme“ ist das Instrument, mit dem die Sicherheits- und Qualitätsstandards der Tankschiffe überprüft und registriert werden. Ohne Befrachter kann ein Tankschiffseigner aber keinen EBIS-Check (er-)halten. Die Praxis: Kündigt ein Tankschiffseigner seinem Befrachter die Gefolgschaft, meldet dieser das Schiff aus EBIS ab. Die Folge: Das Schiff kann nicht mehr eingesetzt werden. Erst wenn der Eigner einen neuen Befrachter findet, kann dieser das Schiff wieder unter seinem Namen anmelden. Der Eigner hat einen neuen Lehnsherren.

Befrachterwechsel: nur eine neue Abhängigkeit

„EBIS hat die Sicherheit und Qualität in der europäischen Tankschifffahrt unbestritten erhöht. Aber wieso soll der Wechsel zu einem anderen Geschäftspartner die Sicherheit meines Tankers negativ beeinflussen?“, fragt ein Tankschifffahrtsunternehmer, der – symptomatisch für die ganze Branche – lieber ungenannt bleiben möchte. Die Abhängigkeit hat zu einer großen Angst bei den Unternehme(r)n geführt, die in der „Nahrungskette“ ganz unten stehen. Wer aufbegehrt, steht schnell im Abseits.

Auch die großen Mineralölgesellschaften werden ihrer Rolle als Lehnsherren gerecht: Nach Gutdünken entscheiden sie über die Zukunft eines Partikuliers. Denn eine unbeanstandete EBIS-Prüfung ist keine Garantie dafür, auch für alle Verlader fahren zu dürfen. Die ohnehin hohen Anforderungen sind noch lange nicht jeder großen Gesellschaft ausreichend. So wird die Liste der Sicherheitsanforderungen beliebig erweitert. Werden diese nicht erfüllt, droht die „black list“. Für den, der einmal auf der schwarzen Liste eines Ölkonzerns steht, ist der Markt gleich viel übersichtlicher.

Andererseits ist Intransparenz der rote Faden, der sich durch die Branche zieht. Weil Entscheidungen über schwarze Listen, technische oder organisatorische Anforderungen, Ergebnisse der EBIS-Checks oder Lieferketten wie Betriebsgeheimnisse behandelt werden, sind sie für kleine und mittlere Unternehmen kaum zu durchschauen. Die Logik dieser Strukturen erschließen sich schnell: Unwissenheit und Unsicherheit erhöht Abhängigkeit, Abhängigkeit macht gefügig. Strukturen, die auf allen Ebenen funktionieren. Ein fairer und transparenter Markt sieht anders aus. So hat auch die Parole „Sicherheit geht über alles“ einen schönen Doppeleffekt: Sie ist gut für‘s Marketing und eine prima Daumenschraube.

Sicherheit geht über alles – aber kosten darf‘s nichts

„Wenn es um Sicherheit geht, überbieten sich die großen Ölgesellschaften gerne. Aber kosten soll’s natürlich nichts“, moniert ein mittelständischer Tankreeder. Einerseits würden von ihm und seinen Kollegen höchste Sicherheitsstandards gefordert, aber andererseits nur Dumpingfrachten gezahlt. Für einen moderne Doppelhüllentanker mit 2.500 bis 3.000 Tonnen Tragfähigkeit werden heute Charterraten von ca. 2.300 Euro für den 24-Stunden-Einsatz mit erforderlichen zehn Mann Personal angeboten. „Bei einem Investment von rund fünf Millionen Euro und den hohen Betriebskosten kann ein solches Schiff aber nicht wirtschaftlich betrieben werden“, klagt ein Partikulier. Natürlich wird er nicht gezwungen, solche Charterangebote zu akzeptieren. Er hat ja zwei Alternativen. Erstens: gar nicht fahren – und somit auch gar kein Einkommen zu haben. Oder zweitens: beim Personal sparen. Das geht beim eigenen Unternehmerlohn, aber auch bei den Angestellten. Im Zweifel bedeutet dass, das eher weniger gut ausgebildetes Personal an Bord arbeitet. Ob diese Entwicklung der Sicherheit zu gute kommt, ist zweifelhaft.

Explodierter Tanker „Alpsray“ war fast 60 Jahre alter Einhüllenschiff

Noch sind die Ursachen der Explosion und den Untergang des TMS „Alpsray“ am 28. März an der BP-Raffinerie Emsland in Lingen ungeklärt. Unabhängig von einer Schuldfrage ist festzuhalten, dass das „Alpsray“ ein fast 60 Jahre alter Einhüllentanker war. Bei einem Doppelhüllentanker können solche Unglücke natürlich auch nicht hundertprozentig ausgeschlossen werden. Aber ein solch modernes Schiffe wäre bei einer vergleichbaren Explosion wahrscheinlich nicht gesunken. Die Tatsache, dass die BP ein solches Schiff an einer eigenen Raffinerie akzeptiert, passt für viele frustrierte Tankreeder ins Programm. Denn für viele Unternehmer ist BP in erheblichen Maße für die Misere der Branche verantwortlich. „2007 hat BP angekündigt, ab 2010 nur noch Doppelhüllentanker, die nicht älter als 30 Jahre sind, einsetzen zu wollen. Darauf hin ist eine enorme Neubauwelle entstanden – ohne das analog alte Einhüllentonnage aus dem Markt gegangen wäre. Und was passiert jetzt?“, fragt der frustrierte Unternehmer?  Nach dem Untergang der Ölbohrinsel „Deepwater Horizon“ wurde das Geld in der BP-Kasse knapp.

„BP ruiniert uns!“

Da kamen höhere Frachtraten für Doppelhüllentanker mehr als ungelegen. Also wurde die Entscheidung von 2007 kurzerhand zurückgenommen. Die Folge: die Unternehmer, die seinerzeit in neue Doppelhüllenschiffe investiert haben, müssen heute mit den alten Einhüllentankern konkurrieren. Weil sich aber keiner öffentlich beklagen will, machen Alle gute Mine zum bösen Spiel und schieben die Last nach unten weiter. „BP ruiniert uns und wir dürfen auch noch freundlich lächeln“, spuckt der Eigner eines holländischen Doppelhüllentankers Gift und Galle.

Für die großen Tankschifffahrtsbefrachter und Reedereien ist die Situation nicht besser, aber sie können die Folgen besser abfedern oder sogar langfristig für sich nutzen. Denn sie können den drangsalierten Tankereignern jetzt helfen – und sich langfristig deren Gefolgschaft sichern. Womit der Lehnskreislauf wieder geschlossen wäre.

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