Standpunkt Viehzucht auf dem Wasser: Stall-Schiff statt Bauernhof-Ponton

Standpunkt Viehzucht auf dem Wasser: Stall-Schiff statt Bauernhof-Ponton

Anfang des Monats hat das niederländische Start-Up Floating Farm mit dem Bau des wohl weltweit ersten schwimmenden Kuhstalls begonnen. Mit integrierter Milchfabrik soll die vermeintlich autarke Produktionsstätte die Rotterdamer Stadtbewohner mit lokalen Lebensmitteln versorgen. Wir halten die Idee nur bedingt für sinnvoll – und plädieren ebenso kühn für den Umbau ausrangierter Einhüllentanker zu fahrtauglichen Ställen.

Die Erdbevölkerung wächst, während Agrarflächen Mangelware werden. Auch die Meeresspiegel steigen. Klar sieht Peter van Wingerden, Mitbegründer des Stallponton-Projekts, die Lösung auf dem Wasser: Als Eigentümer der Firma Beladon entwirft er bereits schwimmende Häuser, Hotels oder Clubs. Die rund zwei Millionen Euro teure Floating Farm passt da ins Konzept.

Mit echten Bäumen, Melkroboter und Bildungsbauernhof soll das Pilotprojekt ab Dezember 60 Milchkühe auf 1.200 Quadratmeter Fläche beheimaten. 15 „artgerechte“ Kunstrasen-Quadratmeter für jedes Tier. Den Rest brauchen flussgekühlte Milchfabrik, Futtergras-Produktion sowie Gülle-Recyclinganlage zwecks Dünger- und Energiegewinnung. Betreut wird die ganze Plattform von zwei Mitarbeitern.

Logistische Milchmädchenrechnung?

Bis zu 1,5 Tonnen Bio-Milch sollen pro Tag produziert und im Unterdeck weiterverarbeitet werden. Da allerdings nur 5 bis 20 Prozent des Futtergrases im LED-beleuchteten Unterdeck angebaut werden, müssten mindestens eine Tonne Heu oder mehr als sechs Tonnen frisches Gras herbeigeschafft werden, folgt man etwa Zahlen des Schweizer Bauernverbands.

Den Trinkwasserbedarf von rund fünf Tonnen wollen wir nicht betrachten und hoffen auf die Wasserqualität des Flusses. Oder auf das städtische Leitungssystem. Gleichzeitig hätten die Bordrecyclinganlagen mehr als vier Tonnen biologisches Recyclinggut zu bewältigen. Alle Angaben beziehen sich auf einen Tag, wohlgemerkt.

Van Wingerden hält bereits größere Anlagen für technisch machbar. Er rechnet vor, dass 40 Anlagen mit je 200 Kühen an Bord alle 620.000 RotterdamerInnen mit Milchprodukten versorgen könnten. Ob 200 Tonnen frische Milchprodukte pro Tag und von mitgebrachten Milchkännchen eingesparte Müllberge den logistischen Aufwand für Futter und Entsorgung rechtfertigen, gilt es genau zu betrachten. Immerhin könnte die nötige Logistik von der Wasserseite aus erfolgen.

Viehhaltung in der Stadt – Lösung mit Haken

Die Projektbetreiber stellen sich bereits schwimmende Farmen für Geflügel oder Gemüseanbau vor. Zur Rentabilität all dieser Projekte oder den Auswirkungen auf die Stadt gibt es noch keine Angaben. Vorstellbar wären Geruchsbelästigung durch intensive Viehwirtschaft, eventuell zusätzlicher Verkehr, Auswirkungen auf das Stadtbild, der Verbrauch freier Wasserfläche – und möglicherweise auch Konflikte bei der Ufernutzung, etwa als Naturraum oder für die von dem Seehafen als umweltschonender Verkehrsträger bevorzugte Binnenschifffahrt, die Warte- und Liegeplätze benötigt.

Auf einem ganz anderen Blatt geschrieben sind das bestehende Überangebot auf dem Milchmarkt sowie die Frage nach dem Energieeinsatz für den Bau derartiger Plattformen. Schließlich gibt es genügend alten Schiffsraum, der sich umrüsten ließe. Und warum sollten spezielle Tiertransporter, die Schlachtvieh oder andere Nutztiere schon seit den 1960er Jahren über diverse Meere verschiffen, nicht auch auf Flüssen und Kanälen verkehren?

Milchprodukte, Fleisch oder Schurwolle „to go“

In spätestens anderthalb Jahren dürften hinreichend Einhüllen-Binnentanker zum Umbau zur Verfügung stehen. Weiterhin fahrtüchtig gehalten, können diese in ein flexibles und artgerechtes Weidebewirtschaftungskonzept eingebunden werden, ähnlich wie es Schäfer mit ihren Herden praktizieren. Das Schiff dient nachts als Stall, wo die wieder eingewanderten Wölfe nicht reißen können.

Am Ende der „Produktionszeit“ werden dann Milchabgabestellen oder Schlachthöfe angefahren. Schafscherer arbeiten ohnehin auch mobil, der Milchlaster kann die Kaimauer anfahren. Apropos Schafe: Sie eignen sich ebenso wie Ziegen zur naturnahen Pflege von Uferböschung oder Schleusengelände. Eine neue Dienstleistung, die man der Wasser- und Schifffahrtsverwaltung anbieten könnte.

Ob das Schiff nun ausfahrbare Stelzen, eine große schwenkbare Rampe, variable Decks oder eine Biogasanlage benötigt; ob es kanalgängig flach oder mit Aufbauten ähnlich einem Autotransporter entworfen wird – in jedem Fall ließe sich der Transport für die Tiere angenehmer gestalten als auf der LKW-Ladefläche.

Die in der Floating Farm verwendeten Technologien und Prozesse lassen sich für die Entwicklung eines betriebswirtschaftlichen Konzeptes heranziehen. Ob das funktioniert, sollen andere herausfinden. Wir Journalisten sind froh, einfach mal ohne Folgen mit einer Idee spielen zu dürfen.

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