Ende Januar hat die Zentralkommission für die Rheinschifffahrt (ZKR) ihre Prognose der Beförderungsnachfrage für 2017 heraus gegeben. Zwischen den klassischen Massengütern und Containern fand der Schwerguttransport keine Erwähnung. Doch könnten Destillationskolonnen, Transformatoren und Rotorblätter einen Wachstumsmarkt für die Binnenschifffahrt darstellen. Ein Blick in Statistiken, Prognosen und Praxis.
Die Vorteile für beide Seiten liegen auf der Hand: kein anderer Verkehrsträger erzeugt so wenig physikalische Belastungen an Ladegut und Infrastruktur. In den Laderäumen finden selbst großvolumige oder sperrige Güter Platz – Je nach Schiff sogar geschützt vor Wind und Wetter. Für einen 260 Tonnen-Transformator müssen auf der Binnenwasserstraße weder Oberleitungen noch Ampelanlagen abmontiert werden. Und der Schiffsführer hat bei Niedrigwasser weniger Sorgen als mit 2.000 Tonnen Kohle im Laderaum.
VDMA rechnet mit Produktionssteigerung um ein Prozent
Lohnt es sich also, in nächster Zeit den Markt zu beackern, die maximale Belastung von Kaimauern der Laderaumspanten einmal detailliert berechnen zu lassen? Einen Beladungscomputer anzuschaffen? Ein sprunghafter Anstieg ist nicht zu erwarten. „Echte Wachstumsimpulse sind nicht in Sicht“, sagte VDMA-Präsident Carl Martin Welcker am 13. Dezember. Seit 2012 komme die Produktion kaum vom Fleck; der Weltumsatz mit Maschinen stagniere.
Dennoch erwartet der Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbau nach einer Stagnation in 2016 nun trotz zunehmender Unsicherheiten durch Brexit und Trump einen Produktionszuwachs von einem Prozent. Die Verkehrsprognose des Bundesamtes für Güterverkehr aus dem letzten Winter bestätigt das. Die Exportquote der Branche liegt bei 75 Prozent. Das lässt auf Transportbedarf schließen.
Zu den Wachstumsfaktoren 2017 zählt der 3.200 Mitglieder starke Verband nachlassende Belastungen einiger großer Entwicklungs- und Schwellenländer sowie leichte Erholung in den EU-Ländern, Großbritannien nicht mit eingerechnet. Die Exporte nach China könnten im laufenden Jahr zwar weiter sinken, allerdings blickten die dort bereits aktiven Mitgliedsfirmen aufgrund milliardenschwerer Projekte der chinesischen Regierung optimistischer in die Zukunft.
Statistiken zeigen Aufwärtsentwicklung
„Maschinen und Ausrüstungen“, heißt eine Gütergruppe in den BDB-Faltblättern Daten & Fakten. Sie wird seit 2010 erfasst und macht demnach mit 1,7 Millionen Tonnen 0,8 Prozent des Güteraufkommens aus. Der aktuellste Wert stammt aus 2015. Da waren es bereits 2,4 Millionen Tonnen und 1,1 Prozent der Transporttonnage. Welcher Anteil tatsächlich auf Schwergut entfällt, ist schwierig zu ermitteln. Auf den frei fließenden Flüssen Rhein, Elbe und Donau werden keine Statistiken über die Art der Ladung geführt.
Für alle anderen Wasserstraßen kommt der Bundesverband der Deutschen Binnenschifffahrt auf einen Wert von 572.530 Tonnen im Jahr 2012 sowie 657.108 Tonnen im Jahr 2013, zehn Jahre zuvor war es rund ein Drittel des aktuellen Wertes. Es sei davon auszugehen, dass die tatsächliche Menge der auf dem Wasser verschifften Schwergüter noch erheblich höher ist.
Und es geht weiter: Das Bundesamt für Statistik hat für 2015 einen Wert von 746.000 Tonnen ermittelt. Hätte jede Schwergut-Fahrt 120 Tonnen Ladung an Bord, wären das insgesamt 6.217 Transporte. Zum Vergleich: In Emmerich fuhren 2014 laut Statistik 85.814 beladene Güterschiffe und Schubleichter über die deutsch-niederländische Grenze.
Das 120-Tonnen-Beispiel stammt aus 2007. Damals transportierte die Deutsche Binnenreederei in sechs Monaten 201 Windkraftanlagen-Flügel von Dresden an die Küste. Jeder davon 44 Meter lang und zehn Tonnen schwer. Zwölf Stück packten die Logistiker in einen Schubleichter. Das ergibt insgesamt zwar nur 2.010 Ladungstonnen. Bei zwei Leichtern pro Strecke aber mindestens neun Fahrten. Dass sich Verkehrspolitiker und Planer für die dahinter stehende Wertschöpfung in Produktionshallen und Logistikkette nicht interessieren, ist eine andere Geschichte. 2.000 Tonnen Kohle tun es für die Statistik genauso.
Ob die 120 Tonnen einen guten Durchschnittswert pro Transportgefäß bilden, ist nicht leicht zu sagen. Eine kompakte Stahlseil-Haspel wiegt zum Beispiel 370, ein dreimal so großer Transformator 300 Tonnen. Eine 20 Meter lange Destillationskolonne bringt es dagegen nur auf 38; eine andere mit 70 Metern auf 68 Tonnen. Auch die Rotorblätter von Windkraftanlagen werden größer und schwerer: Ein Modell wiegt bei 61,5 Metern Länge etwa 18 Tonnen. „Die Anzahl der genehmigungspflichtigen Transporte hat durch die Energiewende deutlich zugenommen“, heißt es im Masterplan Schwergut vom August 2015.
Wachstumsindiz Anmeldezahlen
Diese Genehmigungen werden seit 2010 bundesweit über das elektronische Portal Verfahrensmanagement Großraum- und Schwertransporte „VEMAGS“ beantragt. Wie die koordinierende Stelle Straßen- und Verkehrsmanagement bei Hessen Mobil gegenüber Bonapart bekannt gab, wurden 2010 noch 216.900 Anträge über VEMAGS eingereicht.
Der elektronische Anteil lag bei 83,7 Prozent, der Rest ging per Fax direkt an die regionalen Behörden. 2016 waren es bereits 408.080 Anträge bei einem VEMAGS-Anteil von 95 Prozent. Die jährlichen Zuwächse betrugen mindestens 9,4 Prozent. Lediglich 2015 wuchs mit nur einem Prozent schwach. Wie Straßen NRW schreibt, entfielen 2015 knapp 78.000 dieser Anträge auf Nordrhein-Westfalen.
Wie viele der in VEMAGS angemeldeten Transporte tatsächlich stattfinden, welche Tonnage bewegt wird oder ob Umschlaganlagen des Kombinierten Verkehrs Start- oder Zielpunkt sind, erfasst die Statistik nicht. Zumindest gebe es Schätzungen, dass in Deutschland jährlich etwa 500.000 Großraum- und Schwertransporte auf der Straße stattfinden. Zwar muss im Antrag begründet werden, warum der Transport nicht mit alternativen Verkehrsträgern wie Binnenschiff oder Bahn durchführbar ist. Schließlich ist die Belastung der Straßen hoch. Doch auch Schwergutschifffahrts-Experte Ralf Maehmel von der Reederei Ed Line findet, dass VEMAGS in dieser Hinsicht verbesserungswürdig ist.
Marktteilnehmer sehen Chancen
„Die Begründungen werden sehr weich behandelt“, erklärt Maehmel. „Nur die Großkomponenten landen auf dem Wasser, alles andere bleibt auf der Straße.“ Die Berliner Reederei, die sich viel mit Schwergut- und Sondertransporten beschäftigt, habe 2016 gegenüber dem Vorjahr eine leichte Stagnation erfahren. „Im Export lief es nicht ganz so gut für den Schwer- und Anlagenbereich. Es gab ein paar Projekte in Richtung Iran – aber das Russland-Embargo macht sich bemerkbar.“
Für 2017 sehe es im Vergleich zu 2016 bislang verhältnismäßig ausgeglichen aus. „Indikator für uns sind die eingehenden Anfragen“, so Maehmel. Wie schon in der Vergangenheit, will Ed Line den Rückbau der Atommeiler im Blick behalten. „Da gibt es noch einiges zu tun. Das betrifft nicht nur Anlagenteile, sondern auch den Betonbruch. Hochwertiges Material, das sich zur Aufbereitung für den Straßenbau eignet.“ Auch wenn sich die Schifffahrtstreibenden stärker um Schwertransporte bemühen müsse – Massengut bleibt immer auch ein Thema.
Spezialisierung: Montage im Hafen
Im Hafen Nürnberg dagegen gibt es mit Züst & Bachmeier einen Logistikdienstleister, der eine steigende Nachfrage sieht und seinen Schwergutverladeplatz für bis zu 600 Tonnen schwere Anlagenteile zu einem trimodalen Schwerlast-Logistik-Zentrum weiterentwickelt. Nach sicheren Lagerflächen soll etwa ein Vormontage-Platz folgen. „In diesem Bereich sehen wir großes Potenzial“, erklärt Geschäftsführer Karl-Heinz Webersberger. „So könnten dann Anlagen wie Trafos, Industriepressen oder Ähnliches teilmontiert angeliefert und im Hafen montiert werden. Dies spart der Industrie Montage- und Lagerplatz und erhöht die Flexibilität der logistischen Kette.“ Werden die Anlagenteile direkt im Hafen montiert, rückt das Schiff automatisch stärker ins Blickfeld.
Recherche-Tipp: Die Eingabe des Begriffs „Schwergut“ in der Suchmaske des Bonapart-Surfbretts zeigt Schifffahrts- und Hafenunternehmen, die sich speziell mit dem Thema beschäftigen.
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