Bevor es in deutschen Schleusen auf- oder abwärts geht, müssen alle Schiffe in der Kammer festgemacht sein. Das regelt die Binnenschifffahrts-Straßen-Ordnung in § 6.28. Nicht so in den Ruhrschleusen Duisburg und Raffelberg: Die sonst nur in Ausnahmefällen zugelassene Maschinenkraft ist dort die schifffahrtspolizeilich angeordnete Regel. Die Optionen für den Notfall sind dünn. Das gefällt allen Beteiligten nicht. Sie werden sich aber noch eine Weile damit abfinden müssen. Die Alternativen: Schließen oder weitermachen wie bisher.
Als Eberhard Butenhof im September 2016 sein Gütermotorschiff „Bayerischer Wald“ in die Ruhrschleuse steuert, traut er seinen Augen nicht. „Sämtliche Nischenpoller an beiden Kammerwänden wurden mit dem Schweißbrenner entfernt“, berichtet der Partikulier. Da insbesondere bei niedrigem Rheinpegel beim Abschleusen eine starke Strömung bestehe, sei die Gefahr groß, das Schleusentor zu rammen. „Bei Maschinenausfall besteht keine Chance, das Schiff durch Pollerbelegung zu sichern. Man muss tatenlos zusehen und nimmt über den vorgeschriebenen Sicherheitsabstand nur noch mehr Fahrt auf.“
Keine Bedenken
Über die Strömungsverhältnisse in der Schleusenkammer wollen die Bundesanstalt für Wasserbau und die Bundesanstalt für Gewässerkunde keine Aussage treffen. Beide verweisen auf die Zuständigkeit der Wasser- und Schifffahrtsverwaltung.
Deren Antwort kommt von Robert Weisenburger, Sachbereichsleiter beim Wasser- und Schifffahrtsamt Duisburg-Meiderich: Fällt tatsächlich einmal die Maschine aus, müsse sich der Schiffsführer umgehend per Funk melden, damit der Schleusenvorgang unterbrochen werden kann. „Unter der Voraussetzung, dass die gebotenen Abstände zu den Schleusentoren und zwischen den Fahrzeugen eingehalten werden, der Schiffsführer sich handlungsbereit im Ruderhaus befindet und das Fahrzeug mit Maschinenkraft ständig gehalten werden kann, bestehen keine Bedenken“, so Weisenburger.
Eben das wurmt Butenhof: „Wenn die Hauptmaschine plötzlich versagt, sei es aus Druckluftmangel bei alten Maschinen oder wegen eines Computerfehlers bei neueren Modellen, wegen eines Fremdkörpers im Propeller oder wegen sonstigem Versagen, ist eine Kollision programmiert.“ Zudem verfügen noch nicht alle Schiffe über ein Bugstrahlruder, mahnt der erfahrene Schiffer.
Lieber würde er eine Hinweistafel sehen, die eine Pollerbelegung im normalen Schleusenbetrieb verbietet. Ein Hinweis, den das WSA zumindest in Zukunft berücksichtigen will. „Aktuell gibt es jedoch keinerlei Möglichkeiten, ein manövrierunfähiges Fahrzeug im Notfall aufzuhalten. Bei noch vorhandenen Nischenpollern ginge das.“
Mensch vor Maschine
Doch wenn vorgeschädigte Poller unter Zug abreißen, Seil und Pollerzapfen auf das Deckspersonal zuschießen, sind Menschenleben in Gefahr, argumentiert Weisenburger: „Nachdem 2010 ein Schubverband einen Nischenpoller in der Ruhrschleuse Duisburg abgerissen hat, wurden die Poller gesperrt. Untersuchungen haben gezeigt, dass sie die Bemessungslast nicht aufnehmen können.“
Da sich nicht alle Besatzungen an die ursprüngliche Anordnung hielten, ließ das WSA die Pollerzapfen entfernen und stellte am 2. Mai 2016 die aktuell gültige schifffahrtspolizeiliche Anordnung aus. „Die nun getroffene Maßnahme ist temporär ohne Alternative“, sagt Weisenburger. Das gleiche gilt für die Schleuse Raffelberg.
Schwarze Schafe
Auch Butenhof weiß um die beim Bau der Schleuse Mitte des letzten Jahrhunderts nicht vorgesehene, stetig gewachsene Belastung. Unbestreitbar sind die Wasserfahrzeuge größer geworden. Allerdings berichtet der Partikulier auch von Fällen, in denen Besatzungen unsachgemäß mit Winden oder Koppeldrähten in Schleusen abstoppen. Die Zugkräfte wirken dann ruckartig, die Bruchgefahr steigt. Welche fatalen Unfallfolgen die falsche Handhabung von Poller und Tauwerk haben können, wissen die Mitarbeiter der Berufsgenossenschaft Verkehr besser, als es das BG-Magazin Sicherheitsprofi in der Ausgabe 1/2017 trocken schildert. Immer wieder kommt es zu schweren Verletzungen.
„Wir wollen solche Unfälle gar nicht erst aufnehmen müssen. Klar ist es sicherer, Taue und Drähte gar nicht erst zu nutzen“, begrüßt Gerhard Hoffmann von der BG Verkehr in Duisburg die Regelung in den beiden Ruhrschleusen einerseits. Andererseits weiß er um die Sorgen der Schiffer. „Wir könnten natürlich eine Sperrung der Schleuse aus Sicherheitsgründen beantragen. Aber damit würden wir niemandem einen Gefallen tun. Und die benachbarte Meidericher Schleuse läuft auch nicht immer rund.“
Kaum Alternativen: Schließen oder weiter so
Zwischen Rhein-Herne-Kanal und Ruhr können die Schiffe über den Verbindungskanal östlich der Schleusen noch wechseln. Die nächste Alternative mit größerem Umweg wäre der Wesel-Datteln-Kanal. Doch der hat – auch wegen Sanierungsstaus – ebenfalls nur begrenzte Kapazitäten. „Wir hatten schon versucht, die Sanierung der Ruhrschleuse Duisburg für den Bundesverkehrswegeplan anzumelden“, sagte Andrea Beckschäfer vom Bundesverband der Selbstständigen (BDS) Abteilung Binnenschifffahrt. „Leider ohne Erfolg.“
Zur Sanierung müssten alle Poller samt Verankerung ausgetauscht werden, berichtet Weisenburger: „Aufgrund des immensen Aufwandes und des Alters der Anlage müsste die Schleuse erneuert werden. Da eine Grundinstandsetzung nicht zeitnah realisierbar ist, haben wir uns für den Betrieb unter eingeschränkten Bedingungen entschieden. Die Schifffahrt hat sich auf diese besondere Situation eingestellt.“ Die nächste Schleuseninspektion dürfte 2018 stattfinden. Wann eine Instandsetzung erfolgen kann, ist noch nicht absehbar. Mittel und insbesondere Planungspersonal sind fast überall knapp.
Haftung: Eine Frage der Umstände
Bis zur Instandsetzung bleibt das erhöhte Risiko eines Schleusentor-Schadens durch eine Havarie. Wer dann für den Schaden aufkommen muss, lässt sich nicht pauschal beantworten. „Sollte es während des Schleusenvorgangs zu einer Anfahrung oder ähnlichem kommen, sind in jedem Einzelfall die näheren Umstände zu betrachten und zu bewerten“, schränkt Robert Weisenburger die Haftungsfrage ein.
Auch Andrea Beckschäfer sieht die Umstände des Einzelfalls im Vordergrund, den Schiffsführer aber generell in einer schlechteren Position. Eberhard Butenhof sagt es so: „Ich vermute, im Haftungsfall ist der Schiffsführer der Dumme.“
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