Emissionsarm ohne Umbau: „Jenny“ bunkert synthetischen GTL-Kraftstoff

Emissionsarm ohne Umbau: „Jenny“ bunkert synthetischen GTL-Kraftstoff

Regelmäßig beherbergt das Ausstellungsschiff „Jenny“ alias MS Wissenschaft aktuelle Exponate aus Forschung und Lehre in seinem Laderaum. Zum Wissenschaftsjahr „Meere und Ozeane“ hat das Eigner-Ehepaar Scheubner nun erstmalig auch die Bunker mit einer relativen Neuentwicklung füllen lassen: Der synthetische GTL-Kraftstoff verspricht lokale Emissionsreduktion bei verbesserter Motorenverträglichkeit ohne jegliche Umbaumaßnahmen. Eine Option für die gesamte Binnenschifffahrt?

„Unsere Aggregate haben immer gerußt, die Hauptmaschine weniger. Jetzt ist nirgendwo eine Rauchfahne zu sehen und zu riechen“, erklärt Albrecht Scheubner. Am 25. April ist er mit seiner Frau Karin auf dem Mittellandkanal unterwegs. Das Fahrziel ist Kiel, wo am 3. Mai die Ausstellungssaison beginnt. Mit an Bord: 14.000 Liter GTL-Kraftstoff, die die Scheubners mit dem LKW aus den Niederlanden haben kommen lassen. Mit der Gasöl-Restmenge ergab sich laut Scheubner ein Mischverhältnis von 1:5.

Pioniere in Deutschland

„Noch ist der Kraftstoff um mindestens 40 Euro pro 1.000 Liter teurer als unser normales Gasöl, hinzu kamen 200 Euro Lieferkosten. Aber man muss auch einfach mal etwas ausprobieren“, unterstreicht Scheubner. „Die Binnenschifffahrt kann sich nicht ewig auf ihrer günstigeren CO2-Bilanz im Vergleich zu den anderen Verkehrsträgern ausruhen.“ Ein Blick über die westliche Landesgrenze zeigt: In den Niederlanden können Schiffer den GTL-Kraftstoff bereits an diversen Bunkerstationen beziehen. Rund 20 Schiffe bunkerten den Kraftstoff dort bereits regelmäßig. In Deutschland gab es immerhin schon Pilotprojekte, etwa mit Berliner Linienbussen.

Umweltbilanz verbessert

Gas-to-Liquid, kurz GTL, ist der Oberbegriff für Prozesse, die aus Erdgas einen flüssigen Kraftstoff machen. Dessen Eigenschaften sind dem in der Binnenschifffahrt verwendeten Gasöl nach DIN EN 590 so ähnlich, dass er ohne Anpassungen der Motorsteuerung gebunkert werden kann. Ohne Schwefel und mit weniger Stickstoffanteilen sind dementsprechend keine beziehungsweise weniger zugehörige Oxide im Abgas enthalten. Das soll sich auch auf den Rußpartikel-Ausstoß auswirken.

Shell forscht seit über 30 Jahren an GTL-Kraftstoffen. Der Mineralöl-Konzern gibt in seiner niederländischen Produktbeschreibung aus dem Jahr 2014 Emissionsreduktionen von 23 bis 33 Prozent für Partikel sowie 5 bis 37 Prozent bei den Stickoxiden für schwere Nutzfahrzeuge mit Euro-V-Norm an.

Das Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie hat 2008 aus verschiedenen Studien Reduktions-Mittelwerte von 28 Prozent bei den Rußpartikeln, 17 Prozent bei den Stickoxiden und zwei Dezibel bei den Lärmemissionen für Nutzfahrzeuge nach Euro III Norm ohne Partikelfilter ermittelt. Laut einer von Shell zitierten Aussage von DB Schenker Rail Nederland sollen ältere Lok-Motoren mit GTL bis zu 95 Prozent weniger Rußpartikel ausstoßen, zugleich entstehen weniger Ablagerungen im Motor.

Scheubner ist überzeugt, dass ältere Binnenschiffsmotoren durch GTL in ähnlichem Maße Verbesserungen erfahren. „Insbesondere für die Fahrgastschifffahrt in Städten wie Berlin dürfte der Kraftstoff interessant sein“, so Scheubner. „Für die Güterschifffahrt sind verschiedene Mischverhältnisse oder separate Bunker für Stadtgebiete als Übergangslösung denkbar.“ Kombinationmöglichkeiten mit Hybrid- oder Vater-Sohn-Antrieben zur Verbrauchs- und damit CO2-Reduktion, mit Partikelfiltern oder SCR-Katalysatoren bleiben bestehen.

Auch für die Kraftstoff-Wasser-Emulsionseinspritzung (KWE-Technik) werden Synergien mit GTL erwartet – ein Forschungsprojekt mit einem Mineralölhersteller ist anberaumt, sagte Exomission-Geschäftsführer Stefan Fischer auf Nachfrage. Dass eine Anpassung der Motorsteuerung aufgrund der früheren Zündung sinnvoll scheint, haben die Berliner Busse gezeigt: Im Serienzustand verbrauchten die Fahrzeuge 2,4 Prozent mehr Kraftstoff. Mit der GTL-gerechten Steuerung waren es nach Angaben von Shell 4,5 Prozent weniger.

Klärungsbedarf bei Klimabilanz und Versorgungslage

Während die Luftschadstoffe bei GTL-Nutzung definitiv abnehmen, fällt die Klimabilanz vom Bohrloch bis zum Rad („Well-to-Wheel“) aufgrund des energieintensiven Fischer-Tropsch-Synthese etwas schlechter aus als bei Dieselkraftstoff. Für Straßenfahrzeuge bedeutet das nach der Wuppertaler Studie einen Ausstoß von etwa 170 Gramm CO2 pro Kilometer, wohingegen das gleiche Mittelklasse-Fahrzeug mit Dieselkraftstoff im Tank rund 10 Gramm CO2 weniger pro Kilometer ausstößt. Dieses Verhältnis könnte sich mit der Verbreitung der Hochtemperaturreaktor-Technologie im Herstellungsprozess ändern.

Emissionsarm ohne Umbau: „Jenny“ bunkert synthetischen GTL-Kraftstoff

Die Weltbank schätzt, dass jährlich über 150 Milliarden Kubikmeter Erdgas – rund 30 Prozent des europäischen Verbrauchs – in den Produktionsländern einfach abgefackelt werden. „Das sollten wir uns doch lieber in die Bunker packen“, findet Scheubner.

Die Versorgungslage dagegen hängt primär von den Produktionskapazitäten ab. Die derzeit größte Anlage zur Erzeugung von GTL-Kraftstoffen steht in Katar und liefert täglich 140.000 Barrel an Kraft- und Schmierstoffen. Weltweit sind weitere Anlagen in Planung oder im Bau. Wenn jedoch Schifffahrtstreibende etwa mit VW-Fahrern um den synthetischen Kraftstoff konkurrieren, dürfte es eng werden.

Die Umweltschutzorganisation Greenpeace kritisierte 2015 lediglich den hohen Energieeinsatz bei der GTL-Produktion und erwartete in einer Studie von 2010 nur geringe Einflüsse des synthetischen Kraftstoffs auf den europäischen Energiemarkt im Jahr 2030.

Mit steigender Produktions- und Abnahmemenge dürfte sich der GTL-Kraftstoffpreis an den des Gasöls annähern. Scheubner kann sich zudem vorstellen, dass Verlader das Umweltengagement honorieren – und einfordern. Das haben Bayer und AkzoNobel schon 2011 einmal mit SCR-Filtern getan. Da die Datenbasis hinsichtlich GTL noch relativ dünn ist, bedarf es weiterer Studien und Feldtests speziell für die Binnenschifffahrt. Das Interesse ist aber da: Wenn die „Jenny“ auf ihrer Tour in Hamburg und Berlin vorbei kommt, sollen Gespräche mit Behörden und Politikern stattfinden.

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