Die von dem Automatic Identification System (AIS) gelieferten Schiffsdaten finden sich heutzutage in der ECDIS-Wasserstraßenkarte eines beinahe jeden Steuerstands wieder. Im direkten Sichtfeld des Schiffsführers liegen sie damit nicht. Augmented Reality macht genau das möglich – derzeit jedoch nur auf dem Handy oder Tablet PC. Bonapart hat das neue Produkt von Marinetraffic.com ausprobiert.
Seit einigen Jahren bietet Marinetraffic für jedermann die Möglichkeit, Schiffspositionen und -Daten auf einer Karte zu betrachten. Auf dem PC, oder auch auf dem Smartphone – für Sportschiffer bereits eine günstige, wenn auch weniger zuverlässige und weniger genaue ECDIS-Alternative. Am 3. Juli hat die Online-Plattform nun den Augmented-Reality-Modus für ihre Android-App herausgebracht: Sie ist für 2,98 Euro im Google Play Store erhältlich. Die iPhone-Version lässt noch auf sich warten.
Nachdem Lagesensor und Kompass des Smartphones mit ein paar wilden Schwenkbewegungen kalibriert sind, legt sich eine Informations-Ebene über das von der Handy-Kamera aufgezeichnete Bild. Sie stattet im Idealfall jedes Schiff mit einer Art Sprechblase aus, die einige Basisdaten enthält und bei antippen die Detailseite des Fahrzeugs öffnet.
Umweg über das Internet
In der Praxis ist das nicht ganz so einfach: Da es sich nicht um Live-Daten handelt, hinken die Sprechblasen den beweglichen Zielen meist hinterher, wie der Screenshot vom Bonner Rheinufer zeigt. Lediglich festgemachte Schiffe lassen sich schnell zuordnen. Zudem ist eine Internet-Verbindung sowie eine landgestützte AIS-Antenne des Marinetraffic-Netzwerks in der Nähe erforderlich, um überhaupt Zugriff auf die AIS-Daten zu erhalten.
Screenshots von Kamerabild und Daten-Ebene sind mit 920×502 Pixel nicht gerade riesig. Das Potential von Kamera oder Display des verwendeten Samsung Galaxy S4 mini schöpfen die Fotos bei weitem nicht aus. Will man die Bilder speichern, scheint auf den ersten Blick der Umweg über Internet-Dienste wie Google Drive, Evernote, Picasa, E-Mail-Programm oder andere unumgänglich. Allerdings legt die App die Bilddateien still und heimlich in dem Ordner MarineTraffic/captures an.
Ausbaufähige Idee
Das Fazit des Kurztests fällt eher verhalten aus: Mit der „langen Leitung“ über das globale Datennetz taugt die Augmented Reality App ebenso wie die Grundversion mit Karte definitiv nicht als Navigationshilfe. Als solche war sie auch nie gedacht. Gleichzeitig wird der Spaßfaktor durch die Ungenauigkeit, die geringe Foto-Auflösung und durch die anfängliche Suche nach den gespeicherten Bildern limitiert.
Allerdings zeigt die App, was technisch machbar ist – und führt vielleicht zu neuen Ideen: Ließen sich die AIS-Daten nicht direkt via Google Glass vor das Auge des Schiffsführers oder per Head Up Display zumindest auf die Scheiben des Steuerhauses projizieren? Schließlich klagen viele Schiffer über die mangelnde Übersicht via ECDIS in dicht befahrenen Häfen.
Die auf jedem Binnenschiff verfügbaren Live-Daten und der vielfach vorhandene GPS-Kompass bieten jedenfalls eine deutlich höhere Genauigkeit. Bleibt nur offen, ob und wann Entwicklungsbudgets und Klassifikationsgesellschaften mitspielen – und ob die Datenvisualisierung den Nutzern einen messbaren Vorteil bietet. Letzteres ließe sich im Simulator erproben.
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