Dörfler im Interview: Das Elbe-Problem ist nicht lösbar

Dörfler im Interview: Das Elbe-Problem ist nicht lösbar

Eine durchgängige Wassertiefe der Elbe von 1,60 Metern an 345 Tagen im Jahr hat Ende September Staatssekretär Enak Ferlemann zugesagt. Eine sinnlose Ankündigung, findet der BUND. Über die Zukunft der Elbeschifffahrt und die Perspektiven ostdeutscher Wasserstraßen aus Sicht des BUND-Elbeprojektes hat sich Bonapart Mitte September auf der alten Eisenbahnbrücke Barby mit Dr. Ernst Paul Dörfler unterhalten.

Herr Dr. Dörfler, noch vor 100 Jahren war das Transportaufkommen auf der Elbe höher als auf dem Rhein. Warum hat sich das geändert?

Jedes Dorf hatte einen Hafen, in dem landwirtschaftliche Güter per Schubkarre und Bohle verladen wurden. Oder Waren des täglichen Bedarfs. Bei Hochwasser, Niedrigwasser oder Eisgang hat man eben gewartet. Heute fordert die Industrie planbare Transporte für große Transportmengen. Das ist hier nur mit der Bahn realisierbar, eine Wassertiefe von anderthalb Metern – im Moment sind es halt mal zwei – ist dafür zu knapp. Die Elbehäfen, in die jetzt Millionen fließen, werden nicht rentabel fahren können. Genau wie der Hafen Halle mit seinem jährlichen Defizit von einer halben Million Euro, das die bitterarme Stadt zuschießen muss. Und so lange die Elbe kein zuverlässiger Verkehrsträger ist, nützt auch ein Saaleausbau nichts. Dass auf der Elbe einmal 20 Millionen Tonnen transportiert werden, ist für mich nicht absehbar.

Die Befürworter des Saale-Kanals sagen, dass dieser sehr wohl für einen Umschwung sorgen könnte.

An einem einzelnen Bauwerk liegt es nicht, solange das Elbe-Problem auf dieser Strecke bleibt. Auf dem Mittellandkanal beispielsweise hat die Trogbrücke die Schifffahrtsbedingungen auf der Ost-West-Verbindung am Wasserstraßenkreuz Magdeburg ziemlich optimal gestaltet. Aber die Prognosen von 20 Millionen Tonnen für 2010 sind nicht eingetreten. Das Transportaufkommen liegt nach wie vor bei etwa drei Millionen Tonnen pro Jahr.

Wäre neben der Tonne nicht auch die Wertschöpfung ein sinnvoller Maßstab?

Schon möglich. Aber was sind gelegentliche Schwer- und Containertransporte auf Elbe und Saale gegenüber den regelmäßigen Container- oder Autotransporten auf dem Rhein? Der Punkt ist: Angesichts leerer Kassen muss man doch jede einzelne Wasserstraße kritisch betrachten. Allein an der Saale wurden in den letzten 20 Jahren 100 Millionen Euro für den Unterhalt ausgegeben. Selbst Innenbögen wurden neu geschottert. Fragt man nach, ob sich das rechnet, oder ob einzelne Maßnahmen überhaupt notwendig sind, wird man als „Totengräber der Binnenschifffahrt“ verteufelt oder schlichtweg überhört. Um es klar zu sagen: Ich habe nichts gegen den Verkehrsträger. Ich habe nur etwas dagegen, dass Abermillionen nutzlos versenkt werden und die Natur Schaden nimmt. Das Bild des sympathischen Verkehrsträgers Binnenschifffahrt wird von bestimmten Kreisen nur benutzt, um milliardenschwere, nicht zu Ende gedachte Großbauprojekte zu Lasten des Steuerzahlers hoffähig zu machen. Das Ergebnis sind defizitäre Häfen und Wasserstraßen. Die tun auch dem Image der Binnenschifffahrt nicht gut.

Eine weitere Image-Frage: Ist die Wasserstraße zwingend das Gegenteil eines naturnahen Flusses? Lässt sich beides mit modernen Erkenntnissen aus dem Wasserbau nicht miteinander vereinen?

Teilweise schon. Zum Beispiel sind gegenüber von Steckby 50 Meter intaktes, aber unnötiges Deckwerk entfernt worden. Angesichts dessen hat sich der zuständige Wasserbaumeister vor Schmerz richtig gekrümmt. Der gerade stattfindende Paradigmenwechsel ist ein interessanter und sicherlich lohnender Prozess. Das Hauptproblem der Elbe bleibt jedoch die zwangsweise Vertiefung durch Buhnen, dadurch gräbt sich der Fluss ein. Sohle und Wasserspiegel fallen, die Schifffahrt hat keinerlei Vorteile. Bei einem Kanal wäre das natürlich anders. Aber bei einem frei fließenden Fluss ist die Wassermenge entscheidend. Wassermenge und Regen können wir weder beeinflussen, noch vorhersagen. Zwar führt die Elbe diesen September ungewöhnlich viel Wasser. Aber der Schifffahrt nutzt das nichts. Denn niemand wusste das, als die Transporte geplant wurden.

Nun gibt es ja inzwischen mit Bargelink eine Art elektronischen Spot-Markt für flexible Transporte, die Niederländer entdecken die Vorteile kleiner Schiffe wieder. Und Hans Gerd Heidenstecker erprobt einen speziellen, flachgehenden Elbe-Schubleichter. Können nicht Schiffstechnik und Telematik ökologische und ökonomische Interessen vereinen?

Das habe ich schon in den 90er Jahren gehofft, als ich das Förderprojekt eines flachgehenden Binnenschiffs von der Roßlauer Schiffswerft unterstützt habe. Technisch ein gelungenes Konzept. Aber wer ein Schiff für fünf Millionen kauft, muss sicherstellen können, dass es die Kosten auch wieder einfährt. Diese Möglichkeit sieht auch der polnische Investor der Deutschen Binnenreederei nicht. Seine elbangepasste, flachgehende Flotte will er nicht erneuern, sondern vielleicht noch zehn oder zwölf Jahre fahren. Dann wird sie verschrottet. Die Tschechen überlegen dagegen, ihre Aktivitäten auf den Rhein und das westeuropäische Kanalnetz zu verlagern. Ich würde als Schiffer auch lieber nach Westeuropa fahren, anstatt manchmal wochenlang mit vollem Laderaum hier festzusitzen und graue Haare zu bekommen. Einen Neubau für die Elbe finanzieren? Das geht nicht. Dafür fehlt es nicht nur an Wasser, sondern auch an Güteraufkommen.

Da werden ihnen die Saale-Anlieger aber was anderes erzählen.

Selbst die vielen Kieswerke an der Elbe transportieren nichts mehr mit dem Schiff, das Chemiewerk SKW in Wittenberg-Piesteritz verschifft nur drei Prozent seiner Güter. Denn das geht nur in der Zeit von Januar bis April, bei zwei bis drei Meter Wassertiefe. Aber in diese Zeit fallen auch Hochwasserperioden und Eisgang. Auch die 1,80 Meter Fahrrinnentiefe für das flachgehende Konzept mit 1,60 Tiefgang hat die Elbe eben nicht immer, im Mai beispielsweise waren es etwa 1,20 Meter. Da kann man Kanu fahren und Fahrgastschiffe betreiben, aber keinen Gütertransport. Das Kieswerk Barby hat sich diesen Realitäten angepasst. Seit den 90er Jahren finden hier keine Kiestransporte mehr auf dem Wasser statt. Dafür dass ich feststelle, dass der Gütertransport in der Elbregion zurückgeht, werde ich gescholten.

Apropos Schelte: Schifffahrtsverbände werfen Ihnen die ablehnende Haltung gegenüber dem Tornitzer Schleusenkanal vor, obwohl Ihre Organisation diesen einstmals als Kompromiss befürwortet habe.

Der BUND hat den Kanal niemals gefordert. Wäre ja auch unlogisch, denn die Elbe bleibt unzuverlässig. Dass es einen Konsens gegeben habe, wurde von Politikern wie Karl-Heinz Daehre oder Katrin Budde immer wieder gerne aufgegriffen. Übrigens hat sich Frau Budde inzwischen bei mir entschuldigt. Die Veröffentlichung, auf die man sich beruft, stammt aus dem Jahr 1993. Damals gab ein WWF-Vertreter gegenüber der Volksstimme eine entsprechende Äußerung ab. Ihm ist die Sache heute unangenehm, er war damals gerade neu im Elbe-Projekt und kannte die Bedingungen vor Ort noch nicht.

Mit örtlichen Bedingungen beschäftigt sich auch das KLIWAS-Forschungsprojekt. Was erwarten Sie sich von den Berichten?

Das wird spannend, und für den Rhein mit seinem hohen Frachtaufkommen sind die Berichte sicherlich bedeutsam. Aber bei Prognosen bin ich ohnehin vorsichtig. Ich lasse mich lieber von der Realität der letzten 20 Jahre leiten. Da hatten wir einen Jahrhundertsommer nach dem nächsten, und auch dieser liegt wieder über dem Durchschnitt. Es ist nicht anzunehmen, dass sich die Bedingungen verbessern. Es ist eher anzunehmen, dass die Schwankungen der Niederschlagsmengen stärker werden. Und das ist ja für die Frachtschifffahrt auf der Elbe nicht förderlich.

Wohin mit den Gütermengen ohne die Elbschifffahrt? Die Bahn kämpft spätestens im Raum Hamburg mit Kapazitätsengpässen und über die ganze Strecke mit Lärmemissionen. Wer einmal in Bad Schandau übernachtet hat, kennt das.

Lärm ist ein ernstes, aber lösbares Problem. Die ersten lärmarmen Fahrzeuge sind unterwegs, erste schalloptimierte Fahrwege gebaut. Und Kapazitäten gibt es entlang der Elbe noch genug, das hat der letzte Bericht zur Auslastung des Schienennetzes des Umweltbundesamtes gezeigt. Selbst eine Verdopplung des Verkehrsaufkommens ist möglich. Für den Raum Hamburg bin ich sicher, der Bahn-Ingenieur kann das Engpass-Problem technisch lösen. Das Elbe-Problem ist dagegen nicht lösbar.

Was würden Sie anstelle eines Binnenschiffers tun, wenn sich Gütertransport auf der Elbe nicht mehr rechnet? Eine Umschulung zum Gastronom mitmachen, wie es ganz lapidar im Bund-Flusslandschaften-Bericht vorgeschlagen wird?

Wie überall in der Wirtschaft, man muss sich nach Alternativen umsehen. Als das Pferdefuhrwerk meines Vaters nicht mehr wettbewerbsfähig war, musste er sich neu orientieren. Das ging hier vielen nach der Wende genau so. Klar ist das ein schmerzhafter Prozess. Als leidenschaftlicher Elbschiffer würde ich die Ladung wechseln und Passagiere befördern. Mit kleinen, elbangepassten Schiffen kann man hier Natur- und Flusstourismus vom Feinsten betreiben. Dazu muss man offen sein und seine Kommunikationsfähigkeit entwickeln. An dieser Art „Ladung“ muss man Jahre lang arbeiten, die kommt nicht auf einen Schlag. Aber das ist nur eine Möglichkeit. Man könnte auch auf Kanu-Tourismus setzten. Ich wünsche jedem, dass er lange fahren kann. Aber auf der Elbe funktioniert das nicht ewig.

Vielen Dank für das Gespräch.

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